Leerwohnungsziffer in der Schweiz – ein trügerischer Indikator?
- IREM Team
- 17. Juni
- 2 Min. Lesezeit

Die Leerwohnungsziffer gilt in der öffentlichen und politischen Diskussion als zentrale Kennzahl zur Beurteilung des Wohnungsmarkts in der Schweiz. Sie erscheint jährlich im Spätsommer und gibt Auskunft über den Anteil leerstehender, sofort beziehbarer Wohnungen am Gesamtwohnungsbestand. Doch wie viel sagt diese Zahl tatsächlich über die reale Marktsituation aus? Und wo liegen die methodischen Schwächen?
Was misst die Leerwohnungsziffer – und was nicht?
Die Leerwohnungsziffer, wie sie vom Bundesamt für Statistik (BFS) erhoben wird, basiert auf einem Stichtagsprinzip: Am 1. Juni jedes Jahres werden alle leerstehenden Wohnungen gezählt, die unmittelbar beziehbar sind – sei es zur Miete oder zum Kauf. Voraussetzung ist, dass diese Wohnungen auch tatsächlich angeboten werden.
Nicht erfasst werden dabei:
Kurzfristige Leerstände, z. B. zwischen Mieterwechseln oder Sanierungen.
Nicht öffentlich angebotene Objekte, etwa bei direkter Vermietung über Netzwerke.
Zwischenbelegungen, wie temporär vermietete Wohnungen (Stichwort: möbliertes Wohnen, Airbnb).
Rückbau- oder Umbauobjekte, auch wenn sie formal leer stehen.
Was die Ziffer verzerrt – und was sie verschleiert
Obwohl die Leerstandsziffer nominal rückläufig ist (2024: 1,08 %), bedeutet dies nicht automatisch eine Entspannung oder gar Verbesserung der Marktsituation. Im Gegenteil:
In Wachstumsregionen wie Zürich, Genf, Lausanne oder Zug ist der reale Angebotsmangel oft deutlich gravierender, als die Ziffer suggeriert.
Regionale Durchschnittswerte verdecken teils massive Unterschiede: Während im Jura oder Tessin eine gewisse Angebotsreserve besteht, herrscht in urbanen Zentren akuter Wohnungsmangel.
Marktsegmentunterschiede werden nicht differenziert ausgewiesen: Leerstände betreffen überproportional Wohnungen mit schlechter Lage, Grundriss oder Bauqualität – nicht jedoch gefragte, bezahlbare städtische Mietwohnungen.
Die strukturelle Veränderung wird ausgeblendet
Ein wesentlicher Kritikpunkt an der Leerstandsziffer ist ihre statische Betrachtungsweise. Sie ignoriert:
Demografische Veränderungen (Einpersonenhaushalte, Alterung, Migration).
Nutzungstransformationen (z. B. Umnutzung von Wohnraum zu Geschäftsflächen und vice versa).
Bauüberhänge oder Planungsreserven, die zwar genehmigt, aber nie realisiert wurden.
Verlagerungen ins Stockwerkeigentum, welche die Mietwohnungsstatistik entlasten, aber das Angebot für einkommensschwächere Gruppen real verknappen.
Fazit:
Wer heute Wohnraumpolitik betreibt oder in Immobilien investiert, sollte die Leerstandsziffer nicht isoliert betrachten. Vielmehr muss sie Teil eines umfassenderen Monitoringsystems sein, das Angebot, Nachfrage, Preisentwicklung, Bauaktivität und Nutzungstrends integrativ analysiert.

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